Eingabe der Witwe Georg Lutz an das Polizeiamt der Stadt Speyer
1. Transkription (Quelle: Landesarchiv Speyer, Bestand: H 77, Nr. 7)
"Speier, den 30. I. 13
An das sehr verehrl. Bürgermeisteramt Speier
Betreffs: Gesuch um Anbringung eines Kastens am Haus, in welchem die Fremdenzettel von der Polizei abgeholt werden können.
Durch polizeiliche Verordnung bin ich verpflichtet, jeden Abend den Fremdenzettel bei der Polizei abzuliefern. Wenn Abends spät, wie es oft der Fall ist, noch Fremde ankommen, ist es mir sehr schwer, meine Pflicht zu erfüllen. Meine Wirtschaft liegt außerhalb der Stadt u. ich bin alleinstehende Witwe u. verfüge nur über weibliches Personal u. habe niemand, den ich so spät in die Stadt schicken könnte. Ich möchte daher einen Kasten an meinem Hause anbringen, wo ich den Zettel jeden Abend einwerfen könnte u. da die Polizei // doch ihren Patrouliengang vorbei macht, so könnte denselben der Dienst tuende Schutzmann mitnehmen.
In der Hoffnung, daß mir diese Bitte gewährt wird, zeichnet mit aller Hochachtung
Frau Georg Lutz, Wtw. Bahnhof-Restaurant.
[Vermerk]:
I. Genehmigt mit Rücksicht darauf, daß die Gesuchstellerin als alleinstehende Frauensperson mit nur weiblicher Unterstützung tatsächlich [gestrichen: "nur"?] unter sehr mißlichen Umständen zu wirtschaften hat, anderseits die Patrouille täglich an ihrem Hause vorbeikommt und deshalb ohne Störungen des Dienstbetriebs die Auszüge mitnehmen kann.
II. Mannschaft zur Eröffnung der Genehmigung an die Gesuchstellerin. Voraussetzung ist, daß im Übrigen die Vorschriften sorgfältig beachtet werden. (Bemerken möchte ich hirzu, daß nicht etwa die Auszuge erst in der Wirtschaft geholt werden dürfen, da ich jede Gelegenheit zu Regalierungen [= Bewirtungen] u. dgl. peinlichst im Interesse des Ansehens der Schutzmannschaft vermieden wissen möchte.)
III. Mit Eröffnungsnachweis an mich zurück bis 25. Febr. 13
Speyer, den 17ten Februar 1913
Der Polizeikommissär.
Kenntniß erhalten
Speyer, 19. Februar 1913
Frau Georg Lutz, Witwe
2. Kommentar
Die Eingabe der Gastwirtin spiegelt die Nöte und Sorgen zu unternehmerisch tätigen Frau und ihrer weiblichen Angestellten zu einer Zeit, als dieses Gasthaus noch außerhalb des dicht bebauten Raumes der Stadt Speyer lag und eine durchgehende Beleuchtung der Verbindungsstraße noch fehlte. Zugleich wird deutlich, welchen Wert die Polizeibehörde ihrerseits auf die regelmäßige Übernahme der Meldezettel legte, um den Aufenthalt von Besuchern bzw. Ortsfremden in der Stadt kontrollieren zu können.
Die positive Reaktion der Polizeibehörde auf den Antrag der Gastwirtin macht deutlich, dass auch im wilhelminischen Obrigkeitsstaat die Sorgen der Bürger nicht ignoriert wurden. Zugleich wird anhand der Bedingungen, welche die Polizeibehörde für ihre Zustimmung zu der von der Gastwirtin vorgeschlagenen Verfahrensweise stellt, deutlich, dass man auf jeden Fall eine Einflussnahme der Gäste der Gastwirtschaft auf den Vollzug des polizeilichen Auftrags vermeiden wollte - also das, was heute unter dem Stichwort "Kampf gegen Korruption" noch immer ein Thema ist.