Mittelalter und Frühe Neuzeit im Spiegel von Beständen des Landeshauptarchivs
Im Landeshauptarchiv liegt die älteste bekannte frühmittelalterliche Urkunde aus dem Rheinland. Dieses im Jahre 634 aufgesetzte Testament des Franken Adalgisel Grimo, Diakon an der Domkirche in Verdun, ist nur in Gestalt einer späteren Abschrift erhalten. Die originale Urkundenüberlieferung beginnt 816 mit einem Schutzprivileg Kaiser Ludwigs des Frommen aus der Dynastie der Karolinger für den Trierer Erzbischof (Bestand 1 A). Es ist eine Besonderheit der deutschen Geschichte, dass die vormodernen Bischöfe mit weltlichen Herrschaftsrechten ausgestattet waren. Daher bemühten sich die Erzbischöfe von Trier (Bestand 1), Köln (Bestand 2) und Mainz (Bestand 3) ebenso wie der weltliche Adel um die sachliche und räumliche Erweiterung ihrer Herrschaftsbefugnisse. Bis weit in das Spätmittelalter erstreckte sich Herrschaft nicht über geschlossene Flächen. Kaiser und Könige, geistliche und weltliche Fürsten, Adel und Ritterschaft (Bestand 53), also der im Spätmittelalter geburtsständisch verfestigte niedere Adel, nahmen Herrschaftsrechte wahr, die räumlich nicht beieinander liegen mussten. Erst die spätmittelalterlichen Territorien weisen flächenstaatliche Züge auf. Beim Ausbau ihrer Landesherrschaften bedienten sich die Mächtigen grundsätzlich ähnlicher Mittel: Sie bündelten herrschaftliche Rechte in eigenen Händen; strebten danach, ihren Besitz zu vergrößern und sorgten für dessen Erschließung und effiziente Verwaltung. Dazu bauten sie Burgen, nutzten vorhandene Festungen, gründeten Städte und setzten dem Adel gegenüber hoheitliche Rechte durch.
Seit der Karolingerzeit war das Mittelrheintal mit Bingen, Oberwesel, Boppard und Koblenz eine Kernlandschaft des Reiches, über die Könige und Kaiser als Kron- und Fiskalgut verfügen konnten. Im Lauf der Zeit schmälerte die Vergabe von Grundbesitz, Zollrechten, Burgen und Städten an geistliche und weltliche Gefolgsleute die politische und ökonomische Stellung des Königs. So übertrug etwa Heinrich II. 1018 den Reichsshof Koblenz an Erzbischof Poppo von Trier. Von da an richtete sich die Territorialpolitik der Trierer Erzbischöfe, die seit dem 10. Jahrhundert im Trierer Raum ein größeres weltliches Herrschaftsgebiet, das spätere „Obererzstift“, besaßen, zum Rhein und Westerwald hin aus. Zur Zeit der größten Ausdehnung umfasste das Erzstift, d.h. das weltliche Herrschaftsgebiet, das Gebiet links und rechts der Unterläufe von Mosel und Lahn. Koblenz mit Ehrenbreitstein entwickelte sich seit dem späteren 14. Jahrhundert vom Hauptort des „Niedererzstifts“ zur bevorzugten Residenz des Kurfürsten. Eine weitere Kräfteverschiebung zu Gunsten der Landesherren bewirkten die Verpfändungen von Reichsgut, mit denen die Könige im Spätmittelalter ihren wachsenden Finanzbedarf deckten. Da nach mittelalterlicher Auffassung ein Pfandgläubiger voll in die Herrschaftsposition des Eigentümers einrückte, konnten Pfandschaften zur Aufgabe von Herrschaftsrechten führen. Als Sieger aus dem Wettstreit mehrerer Territorialherren um die einträglichen Krongüter Oberwesel und Boppard ging schließlich der Erzbischof von Trier hervor. Sie gehören ebenso wie die kurkölnische Stadt Andernach (Bestand 612) zu den vielen kleinen Städten, die Wirtschaft und Kultur der Region mitprägten.
Am Mittelrhein strebten die vier rheinischen Kurfürsten, also die Erzbischöfe von Köln, Mainz und Trier und der Pfalzgraf bei Rhein (Bestand 4), die mit drei weiteren Reichsfürsten zur Wahl („Kur“) des Königs berechtigt waren, sowie mächtige Grafengeschlechter, wie die Reichsgrafen von Katzenelnbogen (Bestand 27), nach dem Ausbau ihrer Territorien. Die Anfänge der Pfalzgrafschaft liegen nicht bei einer Dynastie, sondern im Pfalzgrafenamt und den damit verbundenen Gütern und Befugnissen. Pfalzgrafen waren königliche Amtsträger mit Aufgaben im Gerichtswesen und in der Reichsverwaltung. Räumlich kristallisierte sich die Pfalzgrafenherrschaft im 12. Jahrhundert um Bacharach. Seit 1214 war die rheinische Pfalzgrafschaft dynastisch mit den Wittelsbachern verknüpft. Sie erwarben im 13. Jahrhundert u.a. Kaub hinzu. Die reichen Zolleinnahmen von dort und aus Bacharach hatten wesentlichen Anteil an der Finanzkraft des Pfalzgrafen. Im 14. Jahrhundert verlagerte sich der Schwerpunkt der Pfalzgrafschaft in den Neckarraum. Die Grafen von Katzenelnbogen stammten aus dem hinteren Taunus. Ihre Zollburg oberhalb von St. Goar diente ihnen als prächtige Residenz und entwickelte sich zu einem Zentrum höfischer Kultur. Ihr politisches Gewicht verdankten die Katzenelnbogener ihren Rheinzöllen, die so ergiebig waren, dass die Familie zu den vermögendsten Geschlechtern des Reiches zählte. Die Dynastie starb 1479 in männlicher Linie aus. Das Erbe fiel an den Landgrafen von Hessen.
Da keinem Landesherrn eine große zusammenhängende Herrschaftsbildung gelungen ist, war der heutige Nordtteil von Rheinland-Pfalz von einer Vielzahl sehr unterschiedlicher Territorien geprägt. Eine wesentliche Rolle neben den dominanten Landesherren spielten diverse Grafen und Herren. Besonders einflussreich links des Rheins zwischen Nahe und Mosel waren die Grafen von Sponheim (Bestand 33). Nachdem ihre Dynastie im 15. Jahrhundert ausgestorben war, regierten die Häuser Pfalz und Baden die Vordere und die Hintere Grafschaft Sponheim bis ins 18. Jahrhundert gemeinsam. In der Eifel bauten die Herren bzw. Reichsgrafen von Manderscheid (Bestand 29) zwischen dem Herzogtum Luxemburg (Bestand 15), das um Bitburg begütert war, Kurtrier und Kurköln ein kleines Territorium auf. Im Westerwald herrschten u.a. die Reichsgrafen von Sayn (Bestand 30) und Wied (Bestand 35).
Einen historischen Umbruch brachte die Reformation. Eine Anzahl von bis dahin unter der geistlichen Aufsicht der Erzbischöfe von Trier stehender Grafschaften, Fürstentümer und Herrschaften ist nach und nach zum neuen Glauben übergetreten. Hauptsächlich verbreitete sich die Reformation dann nach dem Augsburger Religionsfrieden von 1555, der die Koexistenz von Katholizismus und Luthertum regelte. Gemäß der berühmten Formel „cuius regio, eius religio“ bestimmte der Landesherr für seine Untertanen die Konfession.
Die Territorien waren alle keine eigenständigen souveränen Staaten, sondern Glieder des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Das Reichskammergericht (Bestand 56) war von 1495 bis 1806 eines seiner beiden obersten Gerichte. Es setzte ein geregeltes Streitverfahren an die Stelle von Fehde und Selbstjustiz.
Klöster und Stifte gestalteten die Geschichte des Rheinlands mit. Weltliche Kollegiatstifte, wie St. Simeon in Trier (Bestand 215), St. Kastor (Bestand 109) und St. Florin (Bestand 112) in Koblenz oder Münstermaifeld (Bestand 144), ebenso wie Klöster der alten und neuen Orden, z.B. die Benediktiner in Prüm (Bestand 18), St. Maximin (Bestand 211) und St. Matthias (Bestand 210) in Trier und Laach (Bestand 128), die Zisterzienser in Himmerod (Bestand 96) oder die Prämonstratenser in Rommersdorf (Bestand 162) waren Träger sozialen, wirtschaftlichen und politischen Einflusses. Adligen Frauen boten sie Bildung und einen standesgemäßen Entfaltungsraum. Zu den bedeutenden zählen St. Irminen in Trier (Bestand 201), Marienberg bei Boppard (Bestand 133), St. Thomas an der Kyll (Bestand 171) und Rupertsberg (Bestand 164), dessen Geschichte mit dem Leben und Wirken der großen Gelehrten und Mystikerin Hildegard von Bingen (1098-1179) verbunden ist. Die klösterlichen Konvente erfüllten die gesellschaftlich anerkannte Aufgabe des Gebetsdienstes für die Lebenden und die Toten. Daher ließen sich Mitglieder der führenden adligen und bürgerlichen Familien in den Klöstern begraben. Die Stifte boten adligen Familien die Möglichkeit, den jüngeren Söhnen zu regelmäßigen Einkünften und vielleicht einer Karriere zu verhelfen. Der Stiftsklerus nahm seelsorgerische Aufgaben in den Städten und im Umland wahr. Einen wichtigen Beitrag zur Bildung in der Frühen Neuzeit leisteten die Kollegien der Jesuiten, wie dasjenige in Koblenz (Bestand 117).