Mittelalter und Frühe Neuzeit im Spiegel von Beständen des Landesarchivs Speyer
Vor der Französischen Revolution hatten ca. 50 verschiedene Territorien und Herrschaften Anteil am Sprengel des Landesarchivs, der die ehemals bayerische Pfalz und (seit 1968) Rheinhessen umfasst. Insbesondere vom pfälzischen Teil des Sprengels (die rheinhessische Überlieferung des Ancien régime gehört zum historischen Sprengel des Hessischen Staatsarchivs Darmstadt!) besitzt das Landesarchiv in seinen Beständen des Alten Reiches (vor allem Abteilungen A – F) bis ins frühe Mittelalter zurückreichende Urkunden, Amtsbücher und Akten. Einschränkend muss gesagt werden, dass sich diese Archivalien in der Regel nur auf die linksrheinischen Ämter und Orte erstrecken und die ursprüngliche Urkundenüberlieferung des Landesarchivs generell mit ganz wenigen Ausnahmen erst 1400 einsetzt - Urkunden aus früherer Zeit sind ganz überwiegend im Bayerischen Hauptstaatsarchiv München („Rheinpfälzer Urkunden“) zu suchen, wohin sie im Zuge der Zentralisierung im bayerischen Archivwesen schon im 19. Jahrhundert gelangt sind. Erst der Erwerb des Gatterer-Apparats (Bestand F 7) im Jahr 1997 führte hier zu einem begrenzten Wandel: Die Urkunden vor 1400 erfuhren dadurch einen Zuwachs um über 1.100 Stück, mehr als das Zwanzigfache des früheren Bestandes.
Das älteste hier verwahrte Archivale – und sicher eines der bedeutendsten des Landesarchivs! - ist der Ältere Weißenburger Codex, eine zwischen 855 und 860 in der Schreibstube der Mönche des Klosters Weißenburg im Elsass entstandene Pergamenthandschrift mit den Abschriften von 263 Urkunden, die inhaltlich bis 661 zurückreichen. Er gelangte als Depositum des Historischen Vereins der Pfalz ins Landesarchiv, wo es in die Kopialbücher (Bestand F 1) eingereiht wurde. Die originale Urkundenüberlieferung beginnt fast zur gleichen Zeit, nämlich 878 mit einer Schenkungsurkunde König Ludwigs III. des Jüngeren aus der Dynastie der Karolinger für seinen Getreuen Werinbold über Güter in der Otterbacher Mark im Gau Wormsfeld (Bestand F 7 Gatterer-Apparat).
Auch das nördliche Oberrheingebiet, das den Sprengel des Landesarchivs mit umfasst, zählte im Hohen Mittelalter zu den Kerngebieten des Reiches, wo nach Otto von Freising (1057) die „maxima vis regni“ (die größte Kraft des Königtums) konzentriert war. Sowohl die Salier als auch die Staufer bildeten hier Herrschaftsschwerpunkte aus, wovon heute noch die acht Königs- und Kaisergräber im – von den Saliern als Grablege ihres Geschlechts gegründeten – Speyerer Dom Zeugnis ablegen. Mit der Übertragung der rheinischen Pfalzgrafschaft an seinen Halbbruder Konrad von Staufen verband Friedrich Barbarossa 1156 das Pfalzgrafenamt mit dem salisch-staufischen Erbe am Rhein und schuf damit die Voraussetzung für die Bildung eines pfälzischen Territoriums. Von 1214 an war die rheinische Pfalzgrafschaft dynastisch mit den Wittelsbachern verknüpft. Seit dem Hohen Mittelalter dominierten die wittelbachischen Territorien, zunächst die Pfalzgrafschaft bei Rhein als eines der sieben Kurfürstentümer des Reiches, daneben seit 1410/59 das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken, im pfälzisch-rheinhessischen Raum, ohne dass sie größere zusammenhängende, geschlossene Herrschaftsgebiete ausbilden konnten. Dank der Lage der Residenz Zweibrücken im Archivsprengel übertreffen die pfalz-zweibrückischen Bestände (Abteilung B) mit Bestand B 2 (Pfalz-Zweibrücken, Akten) als größtem historischem Bestand des Landesarchivs an Umfang und Bedeutung diejenigen zur – von rechtsrheinischen Residenzen (Heidelberg, Mannheim, München) aus regierten - Kurpfalz (Abteilung A). Während die kurpfälzischen Bestände sich überwiegend auf die Ämter, als wichtigste die (Ober-)Ämter Neustadt, Kaiserslautern (vor allem in Bestand A 2) und Oppenheim (Bestand A 24), einzelne Behörden, z. B. das – Kurpfälzisches Oberappellationsgericht (Bestand A 8) sowie Orte beziehen, enthält die Abteilung zu Pfalz-Zweibrücken auch viele Unterlagen der zentralen Sphäre, neben Akten (vor allem Bestand B 2) auch für historische Forschungen sehr ergiebige Rechnungsbände (Bestand B 3). Eine Besonderheit stellen Archivalien des Geheimen Rats Jülich-Berg (Bestand A 7) dar, die sich auf Gebiete am Niederrhein und im Bergischen Land beziehen und wohl durch die Vereinigung dieser Territorien mit den kurpfälzischen Stammlanden unter den Kurfürsten aus der Linie Pfalz-Neuburg bzw. Pfalz-Sulzbach in die Pfalz gelangt sind.
Die Archivalien der mit weltlichen Herrschaftsrechten ausgestatteten geistlichen Territorien und Institutionen des Alten Reiches in der linksrheinischen Pfalz, wo sie allerdings nicht die gleiche dominierende Rolle wie im Nordteil des Landes spielten, sind in der Abteilung D des Landesarchivs Speyer konzentriert. Neben den Hochstiften Speyer (Bestände D 1 – D 5) und Worms (Bestände D 11 – D 13), die sich aber auch auf rechtsrheinisches Gebiet erstreckten und dort in der Frühen Neuzeit auch ihre Hauptresidenzen hatten (Speyer: Philippsburg, Bruchsal; Worms: Ladenburg), sind darin auch die erhaltenen Archivbestände, vor allem Urkunden, der – durch protestantisch gewordene Territorien im 16. Jahrhundert sowie in der Französischen Zeit – säkularisierten Klöster und Stifte (Bestände D 21 ff.) enthalten, als bedeutendste neben dem Domstift Speyer (Bestand D 21) und den drei Speyerer Nebenstiften (Allerheiligen: Bestand D 22, St. German: Bestand D 23, St. Guido: Bestand D 24) Klingenmünster (Bestand D 29), Limburg (Bestand D 30) und Hornbach (Bestand D 32), außerdem des Deutschen Ordens (Bestände D 51 – D 54) und Johanniterordens (Bestände D 57 – D 59) sowie der Klöster in den Reichsstädten Speyer (Bestand D 25) und Landau (Bestand D 26).
Neben den wittelbachischen Territorien und den geistlichen Fürstentümern hatten etliche Adelsherrschaften, sowohl des hohen wie des im Spätmittelalter geburtsständisch verfestigten und in der Reichsritterschaft (Bestände C 1 bis C 2, C 18, C 49 bis C 51) organisierten niederen Adels, Anteil an der linksrheinischen Pfalz. Sie trugen zu einer territorialen Zersplitterung bei, die im Südteil von Rheinland-Pfalz noch stärker ausgeprägt war als im Norden. Auch ihre archivische Hinterlassenschaft bildet einen wichtigen Teil der Altbestände des Landesarchivs (Abteilung C). An erster Stelle sind hier die Grafen bzw. Fürsten von Leiningen mit den beiden dominierenden Linien, den Grafen bzw. (seit 1725) Fürsten von Leiningen-Hardenburg (Residenz in Dürkheim, Bestände C 25 bis C 28) und den Grafen von Leiningen-Westerburg (pfälzische Nebenresidenz, im 18. Jahrhundert auch Hauptresidenz Grünstadt, Bestände C 25, C 28 bis C 29) zu nennen. Regionale Schwerpunkte im pfälzischen Gebiet bildeten u. a. auch die Grafen von der Leyen im Bliesgau (Residenz Blieskastel, Bestände C 32 bis C 34), die Grafen von Sickingen im Westrich (Bestände C 49 bis C 50), die Grafen bzw. Fürsten von Nassau-Weilburg (Residenz Kirchheimbolanden, Bestände C 35, C 38 und C 39) und die Wild-, Rau- und Rheingrafen (Bestände C 40 bis C 42) in der Nordpfalz und die Grafen von Hanau-Lichtenberg (Amt Lemberg, Bestände C 19 bis C 21) um Pirmasens heraus. Hingewiesen werden muss auch auf die zuletzt unter habsburgisch-vorderösterreichischer Herrschaft stehende Grafschaft Falkenstein (Bestände C 13 bis C 15) und das badische Amt Gräfenstein (Bestände C 4 bis C 6). In der Französischen Revolution wurden alle Adelsarchive im pfälzisch-rheinhessischen Raum von ihren Besitzern ins Rechtsrheinische geflüchtet. Mit dem Archiv der Grafen von Dürckheim-Montmartin (Bestände C 58 bis C 60) kehrte erst 1975 das erste dieser Archive als Depositum der Familie wieder in die Pfalz zurück. Durch Ankauf gelangten auch Urkunden der Freiherren von Kellenbach (Bestand C 61) sowie das Archiv der Freiherren von Fürstenwärther (vor allem Bestand C 65) ins Landesarchiv.
Das Reichskammergericht (Bestände E 1, E 2 und vor allem E 6), von 1495 bis 1806 eines der beiden obersten Gerichte des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation, hatte von 1527 bis zur Stadtzerstörung 1689 fast durchgehend seinen Sitz in Speyer. Seine auf die Pfalz bezogenen, insgesamt fast 2500 Verfahrensakten gelangten, ebenso wie die zugehörigen Karten (Bestand W 2, darunter großformatige Augenscheinkarten, die heute zu den ältesten und repräsentativsten Karten des Landesarchivs zählen) seit 2003 bzw. 2005 als Leihgabe des Bayerischen Hauptstaatsarchivs München und stellen eine willkommene Bereicherung seiner frühneuzeitlichen Bestände dar. Als weiterer bedeutender überterritorialer Bestand ist das Archiv des Oberrheinischen Reichskreises (Bestand E 3) zu nennen.
Im Verlauf des 19. Jahrhundert wurden im heutigen Landesarchiv nach Münchner Vorbild nicht nur die Urkunden von den Akten und Amtsbüchern gesondert und – anders als im heutigen Landeshauptarchiv Koblenz - eine Bestandsbildung überwiegend nach den Archivaliengattungen (Urkunden, Akten und Rechnungen) vorgenommen, sondern durch Entnahme vor allem aus den Aktenbeständen auch eine Reihe von Selektbeständen gebildet (Abteilung F):
- die Kopialbücher (Bestand F 1) mit in Buchform überlieferten Urkundenabschriften
- die Sal- und Lagerbücher (Bestand F 2), darunter auch Zins-, Gefälle- und Gültregister von Klöstern, Herrschaften und Dörfern
- die Schatzungsbücher (Bestand F 3), die anlässlich der Schatzungen im kurpfälzischen Territorium angelegt wurden
- die Weistümer (Bestand F 4) als ungemein wichtige Quelle zur ländlichen Rechtsgeschichte
- die sogenannten Briefprotokolle (Bestand F 5), Protokollbücher, die Angelegenheiten der Freiwilligen Gerichtsbarkeit betreffen, dabei auch Dorfgerichtsbücher
- die Kirchenbücher (Bestand F 6) als – seit kurzem vollständig digitalisierte und über www.archion.de benutzbare - unverzichtbare Grundlage für Familienforscher
- die Ausfauteiakten (Bestände F 11 bis F 30), ebenfalls eine für die genealogische Forschung bedeutsame Quelle.
Hinzu kamen durch Erwerb, Tausch und Deponierung in jüngerer Zeit der bereits erwähnte Gatterer-Apparat (Bestand F 7 Gatterer-Apparat), eine 1996 vom Staatsarchiv Luzern angekaufte Sammlung mit überwiegend pfälzischem und rheinhessischem Bezug, darunter über 4.000 Urkunden, sowie Urkunden der Sammlung Haeberlin (Bestand F 8) und des Germanischen Nationalmuseums (Bestand F 9), durch die der Urkundenbestand des Landesarchivs auf insgesamt ca. 25.000 Stück angewachsen ist.
Die Reformation erfasste weite Teile des pfälzisch-rheinhessischen Gebiets, in dem sich zentrale Ereignisse der Reformationsgeschichte wie der Auftritt Martin Luthers auf dem Reichstag zu Worms 1521 oder die Protestation der Reichsstände auf dem Speyerer Reichstag von 1529 ereigneten. Für Pfalz-Zweibrücken sind die frühe Einführung der Reformation ab 1533 und der endgültig 1588 vollzogene Übergang von der lutherischen zur reformierten Konfession gut in dessen archivischer Überlieferung (Bestand B 2) dokumentiert, in der sich Autographen berühmter Reformatoren, so von Philipp Melanchthon und von Caspar Hedio finden. Von der Überlieferung zur Kurpfalz (Abteilung A) sind neben einzelnen Urkunden in Bestand A 1 und den vom Umgang her recht überschaubaren Akten über „Kirchen- und Schulsachen“ in Bestand A 2 vor allem die Bestände des Evangelisch-lutherischen Konsistoriums (Bestand A 12) und der Geistlichen Güteradministration (Bestände A 13 – A 15) zu nennen. Visitationsakten, die oft ein plastisches Bild der kirchlichen Zustände während und nach der Reformation bzw. der katholischen Reform vermitteln, sind in größerem Umfang für das Herzogtum Pfalz-Zweibrücken (in Bestand B 2) und für das Hochstift Speyer (in Bestand D 2) vorhanden.