Nationalsozialismus als politische Religion. Die Sonnenwendfeiern im "Dritten Reich"
Kommentar:
Als totalitäres System, das den Menschen in seiner Gesamtheit zu erfassen suchte, stand der Nationalsozialismus naturgemäß in Gegnerschaft zu den christlichen Konfessionen. Um die Lücke zu füllen, welche die zurückgedrängten Kirchen in der Gesellschaft hinterließen, wurde die nationalsozialistische Weltanschauung zu einer politischen Ersatzreligion überhöht. An die Stelle des christlichen Erlösers trat der Führer Adolf Hitler als vermeintlicher Retter des deutschen Volks. Eine wichtige Rolle bei dieser Sakralisierung von Politik spielten Rituale und Feste. Ein solches Fest war die Sonnenwendfeier.
In vielen Kulturen vorgeschichtlicher Zeit war die Feier der Sommersonnenwende, dem längsten Tag des Jahres, bekannt. Feuer spielte dabei als Symbol des Lichts eine wichtige Rolle. Nach der Christianisierung Mitteleuropas wurde der Tag der Sommersonnenwende mit dem Gedenktag für Johannes den Täufer am 24. Juni in Verbindung gebracht. Dieser Tag, der häufig ebenfalls mit Johannisfeuern gefeiert wird, hält die Erinnerung an die ursprünglich heidnischen Feierlichkeiten wach. Gerade im skandinavischen Raum ist Midsommar oder Sankt-Hans auch heute noch ein wichtiger Festtag.
In Deutschland reaktivierte die Jugendbewegung der 1920er Jahre die Sonnenwendfeier und entzündete an weithin sichtbaren Plätzen große Feuer. Diese Feste wurden nach 1933 zunächst von der HJ, später auch von anderen Gliederungen der NSDAP übernommen. Die Feier der Sonnenwende am 23. Juni fand einen festen Platz im nationalsozialistischen Festkalender. Eine führende Rolle spielte dabei die SS, deren Führer Heinrich Himmler besonderen Wert auf die Pflege vermeintlich germanischer Bräuche legte. Seit 1937 fand die zentrale Sonnenwendfeier im Berliner Olympiastadion statt.
Der Ablauf einer solchen Feier war weitgehend standardisiert. Sie begann mit einem Fanfarenruf, der feierlichen Entzündung des Feuers gefolgt von Ansprachen, Weihesprüchen und Liedern. Den Höhepunkt bildete das Totengedenken, begleitet vom Einwerfen von Kränzen in das Feuer. Die Feier endete mit einem "Sieg-Heil" für den Führer und dem Absingen von Nationalhymne und Horst-Wessel-Lied. Die Propagandaleitung der NSDAP verfasste für die Feiern Musterablaufpläne, in denen sogar die Texte der Ansprachen vorgegeben waren.
Die Nationalsozialisten deuteten die Sonnenwendfeier in eine Bekenntnisfeier für Volk und Führer um.
Auffällig ist die Entlehnung des Vokabulars aus dem Bereich der Religion. Begriffe wie "Bekenntnis", "heilig", "Licht des Glaubens" etc. in den Reden und Schriften zur Sonnenwendfeier rückten diese in die Nähe christlicher Feierlichkeiten. Unübersehbar und durchaus beabsichtigt sind die Parallelen in Form und Funktion zwischen ideologischem und christlichem Kult. Die Ideologie des Nationalsozialismus wird dadurch in einen religionsähnlichen Rang erhoben.
Literatur:
Klaus Vondung: Magie und Manipulation. Ideologischer Kult und politische Religion des Nationalsozialismus, Göttingen 1971.
Dokument 1: Zeitungsbericht über die Feier der Sommersonnenwende 1935 in Trier
Dokument 2: Feuerrede, Auszug aus einem Rundschreiben der NSDAP-Gau-Propagandaleitung vom 11.6.1937 zur Gestaltung der Sonnenwendfeiern
Dokument 3: Programm zur Durchführung einer Sonnwendfeier in Issel/Mosel 1937
(Quelle: LHAKo Best. 662,3 Nr. 180)